Eis nach der Pause, salzige Snacks während der Lieblingsserie auf Netflix als Belohnung nach einem stressigen Tag, Schokolade zum Lernen vor einer schwierigen Prüfung? Obwohl wir Essen immer mit Emotionen assoziieren und es verschiedene Emotionen in uns hervorruft, ist der „Missbrauch“ der Nahrungsaufnahme als Reaktion auf Glück, Traurigkeit, Sorge und eine Reihe anderer Emotionen zu einem weit verbreiteten Phänomen im modernen Lebensstil geworden, was schwer zu vermeiden sein scheint.
Der Teufelskreis des emotionalen Überessens
Obwohl Essen ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens ist und es manchmal völlig normal ist, sich mit einem Schokoriegel zu belohnen oder zu trösten, gerät ein solches Verhalten sehr oft außer Kontrolle. Das Problem entsteht, wenn Essen zum primären Werkzeug im Umgang mit Emotionen wird, wenn also der erste Impuls darin besteht, den Kühlschrank zu öffnen, wann immer wir uns gestresst, verärgert, wütend, einsam, erschöpft oder einfach gelangweilt fühlen.
Der Teufelskreis beginnt mit einem Unbehagen, das zu einem Verlangen nach einer bestimmten Art von Nahrung und einem nahezu unkontrollierbaren Essbedürfnis führt, das meist die Aufnahme einer übermäßigen Menge an kalorienhaltiger Nahrung auslöst. Zur Auswahl stehen in einer solchen Situation vor allem verarbeitete Lebensmittel wie Chips, Kekse, Pralinen, Eis, Fast Food, beziehungsweise Lebensmittel, die reich an Zucker, gesättigten Fettsäuren, Natrium, Zusatzstoffen usw. sind. Nach dem Verzehr solcher Lebensmittel entsteht oft ein Gefühl der Reue, das wiederum zum Auftreten negativer Emotionen führt, wodurch der „Kreislauf des emotionalen Überessens“ beginnt.
Der Zusammenhang zwischen Hormonen und emotionalem Überessen
Die Regulierung der Nahrungsaufnahme ist mit sogenannten zwei Schaltkreisen im Gehirn verbunden: der homöostatische Schaltkreis, der die Energieaufnahme mit dem Verbrauch koordiniert und die physiologischen Bedürfnisse des Organismus beschreibt, ist mit den Hormonen Ghrelin und Leptin verbunden, die Hunger und Sättigung regulieren, und der hedonische Schaltkreis, der an der Belohnung und an motivierenden Aspekten des Energieverbrauchs beteiligt ist und durch den Einfluss der „Stimmungshormone“ Serotonin und Dopamin gekennzeichnet wird. In der Wand des Verdauungssystems befindet sich ein Netzwerk aus Zellen des Nervensystems, das über die Darm-Hirn-Achse (Eng. gut-brain axis) Signale an das Gehirn sendet, die sich auf die Stimmung und die Verdauung auswirken.
Die Darm-Gehirn-Kommunikation
Darüber hinaus ist das Darmmikrobiom an der Produktion von Serotonin und dem Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) beteiligt, der dabei hilft, Angstgefühle zu kontrollieren und Ängste und Depressionen zu reduzieren. Zu den probiotischen Gattungen, denen eine positive Wirkung auf die psychische Gesundheit zugeschrieben wird, gehören Lactobacillus und Bifidobacterium. Daher ist jede Störung des Darmmikrobioms unerwünscht. Neben neurologischen Störungen kann eine Darmdysbiose auch das Risiko für die Entwicklung von entzündlichen Darmerkrankungen, des Reizdarmsyndroms, von Geschwüren, gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD) und anderen funktionellen Erkrankungen des Verdauungssystems erhöhen.
Der Einfluss von Emotionen auf Verdauungsprozesse
Es ist bekannt, dass Stress das sympathische Nervensystem aktiviert, was zu einer Reihe hormoneller Veränderungen und der Aktivierung einer Kaskade physiologischer Reaktionen führt, die wir „Flucht oder Kampf“ nennen, als Reaktion des Körpers auf Situationen, die er als gefährlich wahrnimmt. Sehr oft wirkt sich emotionaler Stress auf die Physiologie des Darms aus, sodass eine Reihe von Verdauungsschwierigkeiten auftreten. Verdauungsbeschwerden variieren individuell und reichen von einem brennenden Gefühl im Magen, Sodbrennen, Blähungen, Übelkeit bis hin zu Durchfall, Erbrechen, Verstopfung, Krämpfen, Bauchschmerzen usw. Durch die langfristige Belastung mit Stress kommt es nicht zu einem ausgeglichenen Zustand der normalen Verdauung, sodass das Verdauungssystem chronisch unter- oder überaktiv wird. Dies erschwert den Stoffwechsel und die Aufnahme von Nährstoffen, was einen negativen Effekt auf die Darmmikrobiota ausübt, was sich dann direkt oder indirekt auf alle Systeme im Körper auswirkt.
Wohlfühlessen
Neben der Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse des Organismus (Wachstum, Entwicklung, Abwehr von Krankheiten usw.) wird Nahrung oft mit emotionaler Gesundheit in Verbindung gebracht. Obwohl die Auswahl der Lebensmittel von den individuellen Vorlieben abhängt, liegt der Fokus in Momenten emotionaler Belastung meist auf dem sogenannten „Comfort Food“ (dt. Wohlfühlessen).
Nach dem Verzehr von „Comfort Food“ werden Dopamin und Serotonin ausgeschüttet, Hormone, die sich positiv auf die Stimmung auswirken und für ein Gefühl der Zufriedenheit und des Glücks sorgen. Diese Hormone aktivieren die Teile des Gehirns, die für die Gedächtnisbildung und emotionale Reaktionen verantwortlich sind, was bestätigt, dass solche Lebensmittel häufiger konsumiert werden sollten. Die oben erwähnte Assoziation bestimmter Lebensmittel mit Emotionen führt zu deren wiederholtem Verzehr sowie der Aufnahme übermäßiger Mengen.
Natürlich ist der Griff zu „Comfort Food“ nicht das einzige stressbedingte Verhalten, das sich auf die Gewichtszunahme auswirken kann. Bei einem Wirbelsturm an Emotionen kommt es häufig zu Schlafmangel, mangelnder körperlicher Aktivität, unzureichender Flüssigkeitszufuhr und erhöhtem Alkoholkonsum, was ebenfalls zur Ansammlung zusätzlicher Pfunde beitragen kann.
Folgen emotionaler Überernährung
Emotionales Überessen wird am häufigsten mit Übergewicht, Fettleibigkeit, unzureichenden Ernährungsgewohnheiten und anderen Erkrankungen in Verbindung gebracht, die das Risiko zahlreicher chronischer Erkrankungen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-II-Diabetes) und einer Reihe von Erkrankungen mit sich bringen, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Auch wenn es zunächst nicht den Anschein hat, dass eine übermäßige Einnahme von „Comfort Food“ zu einem Nährstoffmangel an Vitaminen und Mineralstoffen führen kann, haben Studien gezeigt, dass eine unzureichende Ernährung stark mit einer unzureichenden Aufnahme von Eisen, Kalzium, Magnesium, Zink, Kupfer, Folsäure, Vitamin A und B12 verbunden ist. Paradoxerweise unterstützen diese Nährstoffe die normale Gehirnfunktion, verringern das Risiko von Schlafstörungen und Angstzuständen und helfen, mit den eigenen Emotionen und Stress umzugehen.
Wie und warum erkennt man (emotionalen) Hunger?
Es ist wichtig, sich der Unterschiede zwischen emotionalem und körperlichem Hunger bewusst zu werden, um den Teufelskreis emotionaler Überernährung zu durchbrechen. Emotionaler Hunger kann extrem stark sein, aber meistens tritt er plötzlich auf und scheint unwiderstehlich und äußerst dringend zu sein. Am häufigsten entsteht Hunger durch den Wunsch nach einer bestimmten Nahrung oder Art von Nahrung und als ob nichts anderes in Frage käme. Emotionales Essen erfolgt oft unbewusst, was dazu führt, dass aufgrund des fehlenden Sättigungsgefühls größere Mengen an Nahrungsmitteln verzehrt werden. Emotionaler Hunger ist wie ein Gedanke, der einem nicht aus dem Kopf geht, und nach dem Verzehr der gewünschten Nahrung hat man oft ein schlechtes Gewissen wegen der Menge der gegessenen Nahrung oder der Wahl „schlechter“ Nahrungsmittel.
Andererseits ist physiologischer Hunger durch die allmähliche Entwicklung des Hungers gekennzeichnet, das Bedürfnis nach Nahrung ist nicht dringend und erfordert keine sofortige Erfüllung spezifischer Wünsche. In solchen Momenten ist jedes Essen begehrt, der Verzehr der Mahlzeit erfolgt bewusster und nach dem Essen stellt sich ein Gefühl der Zufriedenheit und Sättigung ein.
Schließlich ist es nicht notwendig, auf Lebensmittel zu verzichten, aber es ist möglich, Lebensmittel zu wählen, die diese beiden Arten des Hungers in Einklang bringen. Es ist wichtig, täglich Nahrungsmittel in die Ernährung aufzunehmen, die nicht nur den Energiebedarf decken, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zu anderen Nährstoffen leisten.
Nahrung für Emotionen
Beispielsweise ist dunkle Schokolade aus ernährungsphysiologischer Sicht eine bessere Wahl als Milchschokolade, da sie reich an Polyphenolen und Magnesium ist und die Produktion des sogenannten Glückshormons anregt. Empfehlenswert sind auch Beeren, die reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Antioxidantien sind. Gut sind auch Nüsse, die gesunde Fette liefern und dadurch das Sättigungsgefühl verlängern, und sie enthalten auch Vitamine, die für die Erhaltung der Gesundheit des Nerven- und Immunsystems wichtig sind. Fisch und Meeresfrüchte sind eine ausgezeichnete Proteinquelle mit dem Gehalt an Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D und Vitamin B-Komplex, die sich positiv auf die kognitiven Funktionen auswirken. Die Aufnahme fermentierter Milchprodukte in die Ernährung ist aufgrund des Gehalts an Probiotika, die sich nicht nur auf die Gesundheit des Verdauungssystems, sondern auch direkt auf die Gesundheit des Gehirns auswirken, äußerst wichtig für die Gesundheit der Mikrobiota.
Der Verzehr von Superfoods, die die Aminosäuren Tyrosin und Phenylalanin enthalten, fördert die Synthese von Dopamin und kann sich positiv auf Konzentration und Motivation auswirken. Dazu gehören: Kurkuma, Linsen, Fisch, Huhn, Truthahn, Eier, Nüsse und Samen sowie Gemüse wie Brokkoli und Spinat.
Lebensmittel, die die Aminosäure Tryptophan enthalten, fördern die Synthese von Serotonin, was sich positiv auf die Stimmung, den Schlaf und die Kontrolle von Heißhungerattacken auswirkt. Dazu gehören: Meeresfrüchte, Eier, Kichererbsen, Nüsse und Samen, Süßkartoffeln, Quinoa usw.
Emotionales Essen scheint oft unvermeidlich, wenn sich am Ende eines anstrengenden Tages viele Emotionen, Müdigkeit und Stress vermischen, aber es ist möglich, sich dem Essensgenuss hinzugeben, ohne zu viel zu essen. Der Genuss des Geschmacks, der Farben und der Textur von Lebensmitteln ist durch Methoden bewusster Ernährung sehr gut möglich. Das Ausführen paralleler Aktionen während einer Mahlzeit, wie etwa Fernsehen, Autofahren oder Tippen auf dem Handy, ist ein häufiger Fehler, der das Sättigungsgefühl überdeckt und den Genuss, den Essen bereiten kann, verringert, was zu dem oben erwähnten Teufelskreis führt.
Es ist demnach wichtig, im Kopf zu behalten, dass Essen eine echte Unterstützung und ein Werkzeug bei der Bewältigung eines Wirbelsturms an Emotionen und Stresssituationen sein kann, wenn wir darauf achten, was und wie wir essen.
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